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30. Sonntag im Jahreskreis // Zur ersten Lesung

Datum:
Fr. 23. Okt. 2020
Von:
Annette Jantzen

Gemeint, Nichtgemeint, Mitgemeint?

Zur Lesung aus dem Buch Exodus, Kapitel 22, Verse 20-26

Die Stimme Gottes richtet sich hier ausschließlich an Männer. Witwen und Waisen sind die Leidtragenden einer Gesellschaft, in der Frauen keine eigenständigen Rechte haben, sondern wie unmündige Kinder stets einem Familienoberhaupt gehören.

Die Stimme Gottes spricht in eine Gesellschaft hinein, in der Armut normal ist, und sie redet gegen die Auswüche dieser gesellschaftlichen Ordnung (oder Unordnung). Sie geht aber nicht so weit, einen anderen Umgang mit Besitz und Land, mit Armut und Reichtum, mit Frauen und Männern zu fordern. Umfassende Gerechtigkeit ist hier nicht das Thema. Das unterscheidet diesen Text aus dem sogenannten "Bundesbuch" übrigens von anderen, ähnlichen Gesetzessammlungen in der Bibel, insbesondere im Buch Deuteronomium, Kapitel 12-26.

Wer hier die Stimme Gottes in menschlicher Sprache hörbar machen wollte, war aller Wahrscheinlichkeit nach ein Mann, der aus männlicher Perspektive für Männer geschrieben hat. Diese Übertragung der Stimme Gottes in menschliche Sprache bringt die Stimme Gottes zugleich auch in männliche Sprache. Damit ist sie aber nur eine Stimme im biblischen Chor. Trotzdem bleibt als erstes Fazit: Wer sich als Frau hier nicht angesprochen fühlt, hat damit durchaus recht. Frauen sind als Hörerinnen des Textes nicht vorgesehen. Frauen sind hier also nicht einmal mitgemeint.

Das kann man bedauern, aber man kann auch etwas daraus mitnehmen. Zwei Angebote hierfür, erstens: Hier wird Verantwortung nicht abgewälzt. Die Witwe ist eben nicht ihres Glückes Schmiedin, ihr wird nicht die Verantwortung dafür noch zugeschoben, wenn sie verarmt und verelendet. Das entspricht natürlich der Realität in diesem Gesetzestext, in der Frauen nicht nur vom Erbe ihres Vaters, sondern auch vom Erbe ihres Ehemannes ausgeschlossen sind. Es ist trotzdem bemerkenswert, dass der Autor nicht versucht, dennoch Verantwortung bei ihr zu finden. Wie oft geschieht das sonst? Wer keine Möglichkeiten hat, bekommt noch die Schuld dafür zugeschrieben, sie nicht zu nutzen. Hier nicht - hier werden Verantwortliche benannt, angesprochen und nicht entlassen.

Und zweitens: Die Stimme Gottes richtet sich hier ausschließlich an Männer. Aber obwohl Frauen als Hörerinnen dieser Worte nicht vorgesehen sind, kann der Text nicht daran vorbeigehen, dass Gott umgekehrt die Stimmen der Frauen hört. Sie schreien zu Gott, und Gott erhört sie. Die beschriebene Art des Eingreifens ist für die Einzelne wenig ergiebig - sie hat nichts davon, wenn weitere Frauen zu Witwen werden. Die Stimme Gottes soll drohend klingen, damit das Gebot auch eingehalten wird - ein Hinweis auf die soziale Not der Schwachen. Gottes Stimme spricht hier zu Männern, weil Frauen selbstverständlich bei Gott Gehör finden und Gott auf ihrer Seite steht, besonders wenn sie die Härten der patriarchalen Gesellschaft erleiden.

Die hörbar gemachte Stimme Gottes will hier nicht eine neue Gesellschaftsordnung etablieren (auch das ein Unterschied zum erwähnten Buch Deuteronomium). Aber im Rahmen des für den Autor Denkbaren beschreibt er als Willen Gottes, dass Männer sich für Frauenrechte einsetzen. Dieses für den Autoren Denkmögliche ist von heute aus gesehen nicht besonders viel. Aber es ist ein Anfang, und spätere biblische Stimmen bauen darauf auf, um deutlich weiter zu gehen in ihren Gottesträumen einer gerechten Welt: Die Stimme Gottes selbst ist keine männliche Stimme.

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