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3. Sonntag der Osterzeit B // zur ersten Lesung

Datum:
Fr. 16. Apr. 2021
Von:
Annette Jantzen

Wer ist eigentlich ein Apostel?

An den Sonntagen der Osterzeit gibt es keine alttestamentliche Lesung, sondern die erste Lesung wird in einer durchgehenden Reihe aus der Apostelgeschichte entnommen. Die Ausschnitte sind natürlich kurz - und die Teile der Apostelgeschichte, in denen die ohnehin unterrepräsentierten Frauen vorkommen, gehören nicht zu den sonntäglichen Lesungstexten. Maria, die Mutter Jesu, Saphira, Tabita, Maria, die Mutter des Johannes, Lydia aus Thyatira, in deren Haus in Philippi die dortige christliche Gemeinde entsteht, Damaris aus Athen, Priszilla, Drusilla, Berenike - sie kommen also im Sonntagsgottesdienst nicht vor. 

Wenn wir diese ausgewählten Sonntagslesungen hören, entsteht das Bild einer Kirche, die als tragende Säulen die „zwölf Jünger“ hat, die dann zu den zwölf Aposteln wurden und auf deren Glauben die Kirche steht. Dieses Bild wurde unzählige Male gezeichnet von gotischen Kathedralenfenstern bis zur Bebilderung nahezu jeder Kinderbibel: Jesus zog mit 12 Männern durch Galiläa, feierte mit ihnen das letzte Abendmahl und sandte sie nach seiner Auferstehung schließlich als Gründer seiner Kirche aus, wobei die Apostel als erste Bischöfe fungierten. In diesem Gesamtkonzept haben trotz aller Prominenz am Ostermorgen die Frauen keinen Platz, und so herrscht auch noch einigermaßen Ratlosigkeit, wie die „Apostelin Maria Magdalena“ mit ihrem Festtag am 22. Juli nun auf einmal noch ins Bild passen soll. 

Es ist also hohe Zeit, noch einmal zu fragen, was oder wer denn eigentlich ein Apostel ist. Das Neue Testament kennt darauf nur von der Wortbedeutung her eine eindeutige Antwort: Das griechische Verb „apostelein“ heißt „senden“, und so verwendet das Neue Testament auch das zugehörige Nomen: Gesandte*r. Das Adjektiv „apostolisch“ kennt das Neue Testament noch nicht.

 Paulus spricht von den „Gesandten“ als denjenigen, die aus einer Begegnung mit dem Auferstandenen heraus zu Zeug*innen und Missionar*innen wurden, und reiht sich selbst als letzten hierbei ein. Die Berufung der unmittelbar vom Auferstandenen Gesandten lässt sich in diesem Verständnis auch nicht an spätere Generationen weitergeben, sondern diese einzigartige Funktion stirbt mit der ersten Generation der Christusgläubigen. Wenn Paulus von „Aposteln“ schreibt, dann geht es häufig recht praktisch um das „Apostelrecht“ der unstet lebenden Wandermissionar*innen auf Beherbergung.

In der Apostelgeschichte werden die Apostel hingegen mit den „Zwölf“ identifiziert, wobei es nichts ausmacht, dass nicht alle auch zu den „zwölf Jüngern“ gehörten, sondern nach dem Ausscheiden des Judas Iskariot Matthias nachgewählt wurde, ohne dadurch nur ein „Ersatzapostel“ zu sein. Lukas, dem Autor der Apostelgeschichte, geht es nicht um das Apostelrecht, sondern um eine theologische Geschichtskonzeption: Die Gruppe der „zwölf Apostel“ garantiert die Zuverlässigkeit des Glaubens über kritische Wendepunkte hinweg, von der Auferstehung bis zur Himmelfahrt, von der Erfahrung der Geisttaufe bis zur Ausbreitung des Christusglaubens in die nichtjüdische Welt. Dabei spielt auch die kulturelle Erwartungshaltung des Lesepublikums eine Rolle, das als glaubwürdige Zeugen etwa vor Gericht nur Männer kennt. 

Was die „Apostel“ bei Lukas nicht sind: eine Hierarchiestufe in einer kirchlichamtlichen Organisation. Die Apostel lösen Konflikte mit gleichberechtigten anderen Kräften in der entstehenden Glaubensgemeinschaft im spirituell genährten Gespräch, etwa mit den "Sieben" oder mit den "Ältesten". Sie sind nur ein Teil einer geschwisterlichen Gemeinde, von der Lukas für seine Zeit außergewöhnlich nachdrücklich betont, dass sie aus Frauen und Männern besteht. Zudem ordnet Lukas seiner Erzählungen über einzelne Frauen und Männer in der Begegnung mit Jesus und in der nachösterlichen Gemeinde in polarer Weise an, so dass sie sich jeweils entsprechen und deutlich wird: Jesus zu begegnen ist Menschensache, nicht Männersache. 

Später wurde diese theologische Geschichtsschreibung überlagert vom Kirchenbild der späten Briefe im Neuen Testament, als Leitung innerhalb der christlichen Gemeinden immer mehr nach dem Vorbild der gesellschaftlichen Leitungskonzepte gestaltet wurde, wodurch Frauen genau wie arme oder unfreie Männer von Leitungspositionen ausgeschlossen wurden. Rückwirkend wurde auch die Apostelgeschichte unter diesen Vorzeichen gelesen, die Erzählkreise um die Frauen der Apostelgeschichte gerieten in das Vergessen der sonntäglichen Leseordnung. Es ist Zeit für eine Wiederentdeckung.

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