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25. Sonntag im Jahreskreis C // zum Evangelium

Datum:
Fr. 16. Sep. 2022
Von:
Annette Jantzen

Er sagte zu seinen Jüngerinnen und Jüngern: »Es lebte ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter, und dieser wurde bei ihm verleumdet, dass er seinen Besitz verschleudere. Er rief ihn und sagte zu ihm: ›Was hat es auf sich mit dem, was ich über dich höre? Lege Rechenschaft ab über deine Verwaltung, sonst kannst du nicht weiter verwalten.‹ Der Verwalter sprach zu sich: ›Was soll ich bloß tun, wenn mein Herr die Verwaltung von mir fortnimmt? Ich kann nicht mit der Schaufel umgehen und zu betteln schäme ich mich. Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von der Verwaltung abgesetzt bin.‹ Er ließ jeden einzelnen Schuldner seines Herrn zu sich rufen und sagte zum Ersten: ›Wie viel bist du meinem Herrn schuldig?‹ Der antwortete ihm: ›100 Bat Öl.‹ Da sagte er zu ihm: ›Nimm hier deinen Schuldschein, setzt dich schnell hin und schreibe: 50 !‹ Danach sagte er zu einem anderen: ›Und du, wie viel bist du schuldig?‹ Der antwortete: ›100 Kor Weizen.‹ Er sagte zu ihm: ›Nimm hier deinen Schuldschein und schreibe: 80.‹ Der Herr lobte den ungerechten Verwalter, dass er klug gehandelt habe. Denn die Kinder dieser Welt sind ihrem Geschlecht gegenüber klüger als die Kinder des Lichts. Und ich sage euch: Auch mit ungerechtem Geld lassen sich Freunde machen, die euch immer ein Obdach geben, wenn es euch fehlt. Wer im Kleinsten Vertrauen erwirbt, erwirbt es sich auch im Großen. Und wer im Kleinsten ungerecht ist, ist es auch im Großen. Wenn ihr euch nun mit dem ungerechten Geld kein Vertrauen erwerben konntet, wer wird euch das Wahre anvertrauen? Und wenn ihr mit dem, was anderen gehört, kein Vertrauen erworben habt, wer wird etwas für euch geben? Keine Dienerschaft kann zwei Herren dienen; denn entweder wird sie den einen hassen und den anderen lieben, oder sie wird dem einen anhangen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld.«

Evangelium nach Lukas, Kapitel 16, Verse 1-13

Heute gibt es einmal eine neue Perspektive bei "Gotteswort, weiblich": Ich weite heute die Perspektive der Patriarchatskritik und nehme einen Knotenpunkt in den Blick, wo das Patriarchat sich mit anderen Diskriminierungsformen kreuzt, in diesem Fall mit wirtschaftlicher Diskriminierung. Die Geschichte, die Lukas hier wiedergibt, sorgt oft genug für Unverständnis, umso mehr, als es darin heißt: "Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter..." Jesus als Fürsprecher für einen korrupte Angestellten?

Das Unverständnis ist so groß, weil Jesus hier eine Debatte aufgreift, die in der hebräischen Bibel tiefe Spuren hinterlassen hat, uns heute aber nicht mehr geläufig ist: Die Zinsverbote und die Zinskritik. 

Es ist uns nicht geläufig, dass die hebräische Bibel, die Jesus hier lehrt, das Zinsnehmen an sich ablehnt. Heute wird nämlich häufig eine verharmloste Übersetzung gewählt, indem statt "Zins" "Wucher" übersetzt wird, also ein überhöhter Zins. So entsteht der Eindruck, diese Wirtschaftsweise an sich sei in Ordnung, nur der Exzess werde untersagt. Das entspricht aber nicht dem biblischen Text: Hier wird jeder Zins innerhalb des Volkes Israel abgelehnt. Das heißt, die verwandtschaftliche Nothilfe, nach der man innerhalb der Familie selbstverständlich hilft, wenn ein Mitglied in Not geraten ist, und etwa mit Saatgut für die nächste Aussaat hilft, ohne Zins bzw. Risikoaufschlag zu verlangen, wird auf die gesamte Gesellschaft ausgedehnt. (Ausgenommen vom Zinsverbot ist das Zinsnehmen für die Ausstattung einer Karawane für Handelsreisen - hier geht es um gemeinsame Gewinnerzielung, an der auch Anteil hat, wer nicht selber mitreist, sondern nur die Güter für den Fernhandel mit bereitstellt. Scheitert die Tour, weil die Karawane ihr Ziel nicht erreicht, muss der Kreditnehmer nichts zurückzahlen. Gewinn wie Verlust werden gemeinsam getragen.) Dass es in der Bibel nicht nur Zinsverbote, sondern auch scharfe Zinskritik gibt, belegt, dass diese gesellschaftliche Solidarität nicht selbstverständlich ist, damals so wenig wie heute. Nur, was nicht eingehalten wird, wird so häufig eingeschärft bzw. angeprangert.  

Zins setzt dabei nicht notwendig eine Geldwirtschaft voraus, sondern kann im alten Orient auch auf Naturalien erhoben werden: entweder indem vom Teil, der verliehen wird - etwa an Saatgut - etwas für den Verleiher abgenommen wird, oder indem eine größere Menge zurückgegeben werden muss, als verliehen wurde. Wieviel größer diese Menge war, richtete sich nach dem Risiko: Bei Olivenöl ist das Risiko höher, weil die Ernten stärker schwanken und weil es weniger lange haltbar ist. Bei Saatgut ist das Risiko geringer und der Ertrag besser vorab zu kalkulieren. Hieraus erklärt sich, warum der Verwalter unterschiedlich viel der Forderung erlässt: Er zieht den Risikoaufschlag ab, den der Besitzer auf die verliehene Menge addiert hatte, und sorgt so dafür, dass die Schuldner nur genau das zurückzahlen mussten, was sie auch geliehen hatten. Er sorgt also dafür, dass das Zinsverbot der Tora eingehalten wurde. 

Der Verwalter ist also eigentlich gar nicht unehrlich, zumindest nicht im Sinne der hebräischen Bibel, sondern er wurde verleumdet, und er reagierte, indem er den Ausgebeuteten Gerechtigkeit verschafft - es entsteht eine Solidaritätsgemeinschaft, in der auch er seinen Platz haben wird. Und das tut er, ohne dass von ihm explizit gesagt würde, dass er Jude sei; er handelt also intuitiv im Sinne Gottes: Denn die Kinder der Welt sind klüger... Jesus erkennt an, dass es Geldwirtschaft gibt - obwohl er eine Geschichte erzählt, in der der Zins in Naturalien berechnet wurde. Aber seine Geschichte, ganz in der Tradition rabbinischen Erzählens, zielt darauf ab, innerhalb dieser in sich ungerechten Wirtschaftsordnung eine Solidaritätsgemeinschaft zu bilden, in der niemand ausgebeutet wird und in der das Leihen tatsächlich eine Nothilfe ist, kein Geschäft. Zinsen nehmen, also das eigene Vermögen deswegen zu mehren, weil andere auf mich angewiesen sind, das ist bei Jesus "im Kleinsten ungerecht sein". Und dass unsere Welt im Großen nicht gerechter geworden ist, das ist so offensichtlich, dass man es schon beinahe nicht mehr wahrnimmt, sondern wirtschaftliche Ungerechtigkeit für naturgegeben oder gar gottgewollt halten könnte. Dem "gottgewollt" widerspricht Jesus vehement, und nicht nur hier: Auch im Vaterunser klingt diese seine Überzeugung durch, "denn auch wir erlassen denen, die uns etwas schulden". 

Und was hat das nun mit Patriarchatskritik zu tun? Ich glaube, es gibt mehr als die offensichtliche Verbindung, dass hier eine Geschichte vom Ende ungerechter Herrschaft und Machtausübung erzählt wird. Es geht auch nicht nur um verschiedene Diskriminierungsformen, sondern um eine Gesellschaft der Ungleichheit, in der die einen sich die Rechte nehmen, die anderen versagt bleiben. Ich finde die Aussage Jesu überraschend berührend, dass Gerechtigkeit im Kleinen möglich ist, und zwar eine, die sich selbst ermächtigt, trotz vermeintlicher Rechtsverpflichtungen gegenüber demjenigen, der sich nimmt, was er kann, der Zins nimmt, weil er es kann, und der damit die Solidaritätsgemeinschaft im Namen Gottes, die Leben und Freiheit verheißt, verlässt und beschädigt. Mich beeindruckt und berührt diese innere Freiheit, die Strukturen der Über- und Unterordnung zu durchbrechen. Ich glaube, Jesus hätte Freude an Menschen, die die Konventionen und Hierarchien hinter sich lassen, wenn sie Geschmack an der Gemeinschaft finden, die im Teilen entsteht. Und das gilt nicht nur für den Umgang mit wirtschaftlicher Macht, sondern auch mit Geschlecht. Solidarität macht< frei, und glücklich, und stark. 

 

Zum Weiterlesen: Artikel "Zins/Zinskritik" im Wissenschaftlichen Bibellexikon

Ein herzlicher Dank geht diesmal an den Kollegen Pfarrer Dr. Claus Lücker für das Tischgespräch, das diese Auslegung maßgeblich geprägt hat.

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