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19. Sonntag im Jahreskreis B // zum Evangelium

Datum:
Fr. 6. Aug. 2021
Von:
Annette Jantzen

Die anderen jüdischen Menschen murrten über ihn, weil er gesagt hatte: 'Ich bin das Brot, das vom Himmel herabsteigt', und sie sagten: "Ist dieser nicht Jesus, das Kind von Josef und Maria, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wieso sagt er jetzt: 'Ich bin vom Himmel herabgestiegen'?" Jesus antwortete und sagte ihnen: "Murrt nicht untereinander. Es ist nicht möglich, dass Menschen zu mir kommen, wenn Gott, mein Ursprung, aus dem ich gesandt bin, sie nicht zieht – und ich werde sie auferwecken am letzten Tag. Es ist geschrieben in den prophetischen Schriften: 'Und sie werden alle Gelehrte Gottes sein': Alle, die von Gott gehört und gelernt haben, kommen zu mir. Nicht als ob jemand Gott gesehen hat außer demjenigen, der bei Gott ist: Dieser hat Gott gesehen. Amen, amen, ich sage euch: Alle, die an mich glauben, haben ewiges Leben. Ich bin das Brot des Lebens. Eure Eltern haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. Dies ist das Brot, das vom Himmel herabsteigt, damit alle von ihm essen und so nicht mehr sterben. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgestiegen ist; alle, die von diesem Brot essen, werden ewig leben.
 Das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Körper für das Leben der Welt."

Johannesevangelium, Kapitel 6, Verse 41-51

Eine Bemerkung vorweg: Natürlich hat Jesus nicht so gesprochen, so gewunden im geschliffenem Griechisch des Urtextes. Das haben die Autor*innen des Textes weder geglaubt noch als Tatsache behauptet. Sie schreiben für eine Gemeinschaft, die natürlich die anderen Jesus-Überlieferungen in einem dichten Kommunikationsgeflecht zwischen den jesusgläubigen Gruppen kennt: Die Gleichnisse genauso wie die Lehren zur Tora, die Heilungen und die vielen gemeinsamen Festessen. Und mit diesem Wissen im Rücken klären sie die Fragen ihrer Gegenwart im weitergehenden literarischen Gespräch mit Jesus.    

Und nun ein paar Perspektiven auf dieses Evangelium: Wer diesen Text aus anderen Übersetzungen wie etwa der Einheitsübersetzung kennt, wundert sich vielleicht über diese Fassung: Denn "Gott" und "Ursprung" ersetzen hier das Bildwort "Vater". Das befreit diesen Text von allen Vorstellungen, die sich im Laufe der Jahrhunderte über den Vergleich Gottes mit einem Vater angesammelt haben, wo sogar in Vergessenheit geraten ist, dass es eben ein Bild ist: nicht weniger, aber auch nicht mehr. Selbst wenn die beste menschliche Vaterfigur hergenommen wird zum Vergleich, wie Gott ist, so ist Gott doch damit nur zum kleineren Teil erfasst. Der größere Teil von Gott bleibt von diesem Bild unerreicht. Wie viel mehr gilt das für die kleinlichen, herrschsüchtigen Vater-Bilder, die sich in der Tradition angesammelt haben und wo eine Linie vom Hausvater über den Landesvater zum Gottvater reicht. Das Vatersymbol sagt etwas über die Beziehung aus, die Gott zur Welt, zu den Menschen, zu allem Leben eingeht. Und diese Beziehung ist nicht gut auszudrücken mit den Vorstellungen von Dominanz und autoritärer Herrschaft, die das Vatersymbol in einer patriarchalen Umgebung prägen. Darum also übersetzt die "Bibel in gerechter Sprache" Jesu Verhältnis zu Gott mit "Ursprung": Gott ist der Ursprung Jesu, Jesus kommt aus Gott. 

Im Johannesevangelium ist häufiger vom "Murren der Juden gegen Jesus" die Rede. Das ist später zur Begründung dafür hergenommen worden, Jüdinnen und Juden zu unterdrücken und Gewalt gegen sie zu rechtfertigen. Aber so einfach ist es im Johannesevangelium nicht, hier wird nämlich nicht von außen, sondern von innen auf das sich nach der Zerstörung des Tempels neu formierende Judentum als Religion der Synagoge geschaut. Das Gespräch des heutigen Sonntags findet in der Synagoge statt, und wie in einem klassischen jüdischen Lehrgespräch wird die hebräische Bibel herangezogen, um Fragen der Gegenwart zu klären. Und eine dieser Fragen ist, ob der Glaube an Jesus als Retter einen Abfall vom Judentum bedeutet. Nein, sagt Jesus in diesem Text: Wenn jemand zum Glauben an Jesus kommt, dann weil Gott dies bewirkt. Das ist das genaue Gegenteil vom Glaubensabfall. Und mit dem Zitat aus dem Jesajabuch: "Alle deine Kinder werden Schülerinnen und Schüler Gottes und groß wird der Frieden für deine Kinder sein" (Jes 54,13) wird dazu noch der neue Horizont Gottes aufgemacht, dass göttlicher Friede und Vollendung über den ganzen Erdkreis reichen wird in einer freiwilligen Gemeinschaft.

Die weiteren Frage der Gegenwart kreisen nicht nur um Zugehörigkeit, sondern vor allem um das Wirken Gottes in einer bedrohlichen Welt. Dabei ist den damaligen Leser*innen klar, dass auch jesusgläubige Menschen sterben müssen und schon gestorben sind. Was hat sich geändert, ist ihre Frage: Wie ist Gottes Wirken in dieser Welt zu verstehen? Wir wirkt Gott in einer Welt, in der der gesegnete Mensch, der so zärtlich und revolutionär von Gott gesprochen, der Menschen geheilt und sattgemacht hatte, brutal hingerichtet werden konnte?  Im Johannesevangelium gibt es keine Erzählung über das Brotbrechen beim letzten Abendmahl, sondern an dieser Stelle steht die Erzählung von der fürsorglichen und demütigen Zuwendung in der Fußwaschung. Was das gemeinsame Brot-Teilen der Gemeinde bedeuten konnte, wird dafür in diesem heutigen Text beschrieben und damit wird gleichzeitig die Frage nach Gott in der bedrohlichen Welt zumindest versuchsweise beantwortet: Das geteilte Brot beim gemeinsamen Essen ist Zeichen für Jesus, und zwar seine Person und seine Lehre. Das geteilte Brot spricht von der Feindesliebe genauso wie von der Erfahrung des Genug-für-Alle und des Heilwerdens. Es ist darum reales Zeichen dafür, dass Gott auf der Seite der Benachteiligten und Entrechteten ist, dass Gott radikal das Heilsein der Menschen will und mit erneuernder Kraft die Welt durchdringt. Wie Gott in Jesus erfahrbar war, so ist es nun die geliebte Gemeinschaft, in der Gott in der Welt erfahrbar wird.  Das heißt nicht, dass die Bedrohung durch die römische Militärdiktatur überwunden wäre, sondern dass es eine Dimension und Erfahrung der göttlichen Zugewandtheit und Fürsorge gibt, auf die diese menschliche Gewaltherrschaft keinen Zugriff hat.

Und zum Schluss: Das Brot hat kein Geschlecht. Es ist das Essen, das keinen Unterschied macht, Reiche brauchen es wie Arme, Frauen wie Männer. Das Brot nährt und stiftet Gemeinschaft, es schmeckt und macht zufrieden. Wenn es ein Amt in dieser Gemeinde gibt, in deren Erzähltradition übrigens als einziges besonderes Gewand Jesu die Schürze bei der Fußwaschung benannt wird, dann braucht es dafür kein bestimmtes Geschlecht, sondern den Willen, zugewandt zu bleiben und zu Gemeinschaft stiften. Jesus wird in der Gemeinde nicht dadurch gegenwärtig, dass ein Mann wie ein Schauspieler seine Rolle beim Brotbrechen einnimmt, sondern dadurch, dass Menschen beim gemeinsamen Brotessen einen Vorgeschmack der Gemeinschaft mit Gott erleben, aus der Jesus gelebt hat.   

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