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18. Sonntag im Jahreskreis B // zur zweiten Lesung

Datum:
Fr. 30. Juli 2021
Von:
Annette Jantzen

Dies also sage und bezeuge ich bei Gott, dass ihr euer Leben nicht mehr wie die Menschen aus den Völkern führen sollt, die in der Begrenztheit ihres Denkens leben. Deren Verstand ist umnachtet, sie sind entfremdet vom Leben Gottes, weil Unwissenheit bei ihnen wohnt und ihre Herzen verhärtet sind. Mutlos haben sie sich selbst der Hemmungslosigkeit ausgeliefert zu jeder unreinen Betätigung in Geldgier. Ihr aber habt den Christus so nicht kennen gelernt, wenigstens wenn ihr ihn gehört habt und in ihm gelehrt worden seid, wie es Wahrheit ist in Jesus. Ihr habt gelernt, den alten Menschen eures früheren Lebens, der entsprechend den betrügerischen Begierden zu Grunde geht, abzulegen, euch aber in der Geistkraft eures Denkens zu erneuern und den neuen Menschen anzuziehen, der Gott entsprechend geschaffen wurde in Gerechtigkeit und Heiligkeit der Wahrheit.

Brief an die Gemeinde in Ephesus, Kapitel 4, Verse 17-24

Vielleicht war es damals einfacher: Wer zu einer Underdog-Religion gehört, kann sich leicht abgrenzen vom Rest der Welt, mag es mitunter auch durchaus besserwisserisch klingen. Heute gehen solche Urteile über den Rest der Welt nicht mehr so einfach über die Lippen, hoffentlich. Schon gar nicht, wenn dieser Rest der Welt mittlerweile sehr genau sieht, dass es bei denen, die sich selber Gottes Volk nennen, also bei uns, durchaus unheilig zugeht – und da ist Geldgier nur ein Teilproblem, ein vergleichsweise kleines sogar.

Aber wenn wir heute noch einmal an der Stelle dieser unserer sehr frühen Vorgänger*innen wären, wenn wir selbst noch einmal diese Wucht der Anfangszeit erleben würden, was würde es dann bedeuten, „den neuen Menschen anzuziehen“? Was kann es heute bedeuten? Der „neue Mensch“ hängt nicht mehr am Vergänglichen, schreibt, wer auch immer diesen Brief geschrieben hat.

Zur Entstehungszeit des Neuen Testaments gab es aus Sicht der Jesusgläubigen drei große Schubladenpaare, die den Platz jedes Menschen in der Gesellschaft beschreiben konnten: Man war Jude oder „aus den Völkern“, was sowohl griechisch als auch römisch geprägte Menschen meinte, die nicht an die Gottheit Israels glaubten. Man war ein versklavter oder ein freier Mensch, und man war männlich oder weiblich. Dabei war das Problem nicht, dass es solche Unterschiede gab, sondern dass sie einander über- und untergeordnet waren. Sklaven standen unter Freien, Männern über Frauen. Die Kunst der frühen Gemeinden, was sie attraktiv machte, war, dass diese Unterscheidungen und damit auch die unterschiedlichen Wertigkeiten ihre Bedeutung verloren hatten. Ob jemand Jüdin gewesen war oder an die griechischen oder römischen Götter und Göttinnen geglaubt hatte – nach der Taufe war es egal. Ob jemand Sklavin war oder frei, in der christlichen Gemeinde waren alle gleichberechtigt. Sogar Männer und Frauen, so unglaublich das auch schien. Sie alle hatten, wenn sie sich innerhalb der jesusgläubigen Gemeinde bewegten, diese Unterscheidungen der Außenwelt abgestreift. Was nun zählte, war der Glaube daran, dass Gott wirklich so erfahren wurde, wie Jesus von Gott gesprochen und gelebt hatte: heilmachend, tröstend, zugewandt, befreiend, lebengebend, liebevoll.

Vielleicht war auch das damals einfacher: Die Welt blieb, wie sie war, und in der Gesellschaft gab weiterhin krasse Unterschiede gab zwischen verskavten und freien, männlichen und weiblichen Menschen. Aber in der jesusgläubigen Gemeinschaft konnten sie sich anders verstehen, hier waren alle auf einem Level. Der Preis dafür war, dass ihnen nicht mehr alle Menschen als gottebenbildlich galten, sondern nur die, die so den „neuen Menschen angezogen“ hatten.

Eine Gemeinschaft von Gleichen zu sein, ist schwieriger geworden, seit die christliche Kirche die gesellschaftliche Mehrheit stellte, denn seitdem gab es mehr und mehr Unterschiede innerhalb der Kirche: zwischen Männern und Frauen zuerst, dann auch zwischen Klerikern und Laien, zwischen Reichen und Armen, später auch zwischen weißen und nichtweißen Menschen, heute noch zwischen hetero- und homosexuellen Menschen. Wir sind inzwischen weit weg von der Gleichheit des Anfangs. Die alten Unterschiede sind wieder hervorgetreten, neue Unterschiede und Hierarchien sind hinzugekommen. Sie wurden bisher nur übertüncht, nicht überwunden. Eine beliebte Tünche ist zum Beispiel: In Wahrheit würde es der Gleichwürdigkeit aller Getauften überhaupt nicht widersprechen, dass nicht alle gleichberechtigt sind, und es gebe keine Herrschaft in der Kirche, weil jedes Amt ein Dienstamt sei, und der absolute Monarch sei in Wahrheit der Diener aller. Herrschaft tarnt sich so als Dienst, Diskriminierung tarnt sich als Gleichwürdigkeit, Verweigerung tarnt sich als Gehorsam gegen Gott.

Es wäre gigantisch, das alles hinter sich zu lassen und zu sagen: Bei uns zählt das nicht mehr. Wir diskriminieren nicht, weil Gott das auch nicht tut.

Vielleicht sollten wir die heutige Lesung aus dem Brief an die christliche Gemeinde in Ephesus nicht als eine Beschreibung hören, sondern als einen Auftrag an uns. So könnte es sein. So sollte es sein. Was wäre das für eine Botschaft.

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