Unter dem Flügel (c) Photo by The Tampa Bay Estuary Program on Unsplash

11. Sonntag im Jahreskreis // Einleitung

Datum:
Fr. 12. Juni 2020
Von:
Annette Jantzen

Wer wir sind

Dem Volk Israel in der Wüste lässt Gott ausrichten: Ich berge euch unter meinen Flügeln, ihr sollt mein priesterliches Königtum und heiliges Volk sein. Die Flügel wurden erst mit der ersten griechischen Übersetzung zu Adlerflügeln, denn in der griechischsprachigen Umgebung galten Adler als würdig, Geier hingegen als verdächtig und unrein. Aber vor Gott kommt es eben nicht nur auf majestätisches Aussehen an, und Totengöttinnen im alten Orient kommen häufig als Geier daher, weil sie sich um das Tote kümmern. Im biblischen Bild sind es darum die Flügel der Gänsegeier, unter denen Gott ihre Leute birgt, weil Gott, die Lebendige, das Leben hervorbringt und es auch im Tod noch hält und begleitet.

Und wer gehört zu Gott, der die ganze Erde gehört? Gott denkt offenbar groß. Die große Menge wird nicht weiter differenziert, niemand gehört mehr oder weniger dazu. Alle sind priesterlich und königlich, und das heißt in dieser Vorstellungswelt, alle sind gottfähig. Denn Priestersache ist es, für die Rituale zu sorgen, die gottfähig machen. Ihr seid meine gottfähigen Menschen, euch gilt meine Fürsorge.

Und das neue Testament nimmt nichts davon zurück. Den vielen Menschen, die müde und erschöpft sind, gilt die Zusage Gottes, dass sie heil sein sollen. Darum ruft Jesus zwölf seiner Schülerinnen und Schüler heraus: Denn zwölf Stämme symbolisierten die Ganzheit der Zu-Gott-Gehörigen, denen der Bund Gottes, der Ewigen, mit den Menschen galt, und zwölf sind es auch jetzt, zwölf unter den Vielen.

Deutlich engherziger als diese gute Nachricht wäre es, anzunehmen, dass Jesus genau und ausschließlich zwölf Männer berufen habe, die gleichzeitig "die Zwölf", "die Jünger" und "die Apostel"  seien, und dass dadurch alle anderen in die zweite Reihe rücken würden. Die Bezeichnungen "Jüngerinnen", "Apostel" und "Zwölf" sind nicht deckungsgleich, und die Gruppe derer, die Jesus um sich gesammelt hatte, war deutlich größer, so groß, dass auch siebzig paarweise ausgeschickt werden konnten. Ganz abgesehen von denen, die zum Kreis um Jesus gehörten, aber in ihren Häusern und Dörfern blieben (und natürlich waren auch Frauen dabei). Von den Zwölf gibt es mehrere voneinander abweichende Listen: Ganz so klar ist nicht, wer nun dazugehört und wer nicht. Offenbar kam es darauf nicht so sehr an. Es ist gut möglich, dass die "Zwölf" ein Kollektivbegriff ist, so wie "die Fußball-Elf" - ein feststehender Begriff mit wechselnden Zugehörigkeiten, bei denen die Zugehörigkeit nicht beliebig ist, aber wechseln kann, ohne dass die Gruppe sich dadurch auflöst. Und wie bei der Fußball-Elf gehört die Zwölf in eine größere Gruppe, in der sie erst ihre Funktion erfüllen kann. Jesus setzt ein starkes Zeichen: Die Gegenwart ist unruhig und voller Umbrüche, und genau in dieser Zeit richtet Gott ihre Zwölf wieder auf, um ihre Treue zu den Ihren zu bekräftigen. (La Mannschaft, sie spielt wieder.) Hier geht es um endgültiges Heil, nicht um kirchenamtliche Fragen oder die vermeintliche Begründung von Ungleichheit.

Zwölf, die das Heil von Gott direkt erfahrbar machen sollen, das heißt: Ihr alle seid die meinen, jetzt und hier über diese Welt hinaus, gottfähig für immer.

Zu den Texten des 11. Sonntags im Jahreskreis, Exodus 19 und Matthäus 10

 

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