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1. Fastensonntag, Lesejahr A // zur 1. Lesung

Datum:
Fr. 24. Feb. 2023
Von:
Annette Jantzen

Eine Frage der Überschrift

Da bildete Adonaj, also Gott, Adam, das Menschenwesen, aus Erde vom Acker und blies in seine Nase Lebensatem. Da wurde der Mensch atmendes Leben. Nun legte Adonaj, also Gott, einen Garten in Eden an, das ist im Osten, und setzte das gerade geformte Menschenwesen dort hinein...

Die Schlange hatte weniger an, aber mehr drauf als alle anderen Tiere des Feldes, die Adonaj, also Gott, gemacht hatte. Und sie sprach zu der Frau: »Da hat doch Gott tatsächlich gesagt: ›Ihr dürft von allen Bäumen des Gartens nichts essen‹!« Da sagte die Frau zur Schlange: »Von den Früchten der Bäume im Garten können wir essen. Nur von den Früchten des Baumes in der Mitte des Gartens hat Gott gesagt: ›Esst nicht von ihnen und rührt sie nicht an, damit ihr nicht sterbt!‹« Die Schlange sagte zu der Frau: »Ganz bestimmt werdet ihr nicht sterben. Vielmehr weiß Gott genau: An dem Tag, an dem ihr davon esst, werden eure Augen geöffnet und ihr werdet so wie Gott sein, wissend um Gut und Böse.« Da sah die Frau, dass es gut wäre, von dem Baum zu essen, dass er eine Lust war für die Augen, begehrenswert war der Baum, weil er klug und erfolgreich machte. Sie nahm von seiner Frucht und aß. Und sie gab auch ihrem Mann neben ihr. Und er aß.
Da wurden beiden die Augen geöffnet und sie erkannten, dass sie nichts anhatten. Sie fügten Feigenblätter zusammen und banden sie sich um. 

(Buch Genesis, aus den Kapiteln 2 und 3)

Die Geschichte der ersten Lesung kennen wir unter der Überschrift "Der Sündenfall". Allein - von Sünde ist da gar nicht die Rede.

Menschen gibt es in der Geschichte, mehrere Bäume, eine Schlange (im Hebräischen übrigens männlich - also "der Schlang"), und Gott. Eine Diskussion über gefährliche Früchte, einen Betrug - nämlich des Schlangs, der Gottes Worte verdreht -, eine Wahl und eine Erkenntnis.

Wenn man genau hinschaut, liest man, dass die Frau das Verbot des Früchteessens auf den Baum in der Mitte des Gartens bezieht - dort stehen aber zwei Bäume, der Baum des Lebens auch noch. Gott hatte in dem Teil der Geschichte, der für die sonntägliche Lesung herausgekürzt wurde, den Baum der Erkenntnis als verboten benannt. Oder war es eher eine Warnung? Auch das ist offen. Ebenso offen bleibt, ob die Menschen nur einmal vom Baum des Lebens hätten essen müssen, um unsterblich zu sein - oder ob sie im Garten hätten bleiben müssen, in seiner Nähe, um immer wieder von ihm zu essen und so den Tod abzuwenden. Erst aus dem Fortgang der Geschichte erschließt sich, dass die Menschen vom Baum der Erkenntnis gegessen haben - und die Frage nach der Unsterblichkeit erledigt sich dann auch gleich mit. Es ist also offenbar nicht alles so eindeutig, wie es zunächst scheint.

Inhaltlich bleibt es aber dabei: Die Früchte des Baums der Erkenntnis von allem, von gut bis schlecht, sind verboten, oder gefährlich, oder beides. Die Ankündigung war gewesen, dass die Menschen sterben würden, am Tag, an dem sie davon essen. Die Frau sieht aber nach dem Dialog mit dem Schlang, dass die Früchte verlockend sind und dass es begehrenswert wäre, klug zu werden. Eine Wahl, getroffen vor der Fähigkeit, die Konsequenzen abzusehen - vor der Erlangung der Fähigkeit zur Unterscheidung von Gut und Böse, learning by doing also.

Und was passiert dann? Die Menschen sterben nicht, aber sie erkennen. "Nackt" und "Klug" sind im Hebräischen nahezu gleiche Wörter. Nacktheit zu erkennen ist also keine Strafe, die Handlung hat nicht zum gegenteiligen Effekt geführt, sondern sie führt eben zu beidem: Zur Erkenntnis, und damit zur Nacktheit, und dann zum ersten Versuch, damit umzugehen.

Was dazu gehört, wird in der Bibel sonst immer positiv bewertet: Das Öffnen der Augen, das Erkennen von Gut und Böse, das Klugwerden und das Werden wie Gott. Es wird in dieser Geschichte auch überhaupt nicht gesagt, dass es Hybris und Sünde sei, was die Menschen tun, sondern es geht um die ganz normale Fähigkeit des Menschen zur Erkenntnis. Diese aber ist, das wissen die Menschen, die den Text verfasst haben, ambivalent. Sie bringt Gutes und Leidvolles, aber Gott ist nicht dafür verantwortlich zu machen, wenn kluge Menschenpläne scheitern.

Die Geschichte erzählt eine Entwicklung, und von Beziehungen, wie die Geschichte eines Kindes mit seiner Mutter: Vom innigen, vorbewussten Einssein zur Abgrenzung, zur Erkenntnis, letztlich ungeschützt und alleine zu sein und dann zur Erfahrung, damit wiederum an- und aufgenommen zu sein - Gott wird im Fortgang der Geschichte selber Kleidung für die Menschen machen, damit sie besser zurechtkommen mit ihrer Erkenntnis, ihrem Ausgesetztsein und ihrer Verletzlichkeit.

Wenn man dem Text also die Überschrift "Sündenfall" gibt, dann ist das eine Deutung, die sich aus Tradition erklären kann, aber nicht aus dem Text selbst. Der Text könnte auch die Überschrift tragen "So ist das mit den Menschen".

Von dieser Geschichte ist viel abgeleitet worden, was langandauerndes Leid verursacht hat: Die Frau als Verführerin, die Vorstellung einer Ur- und Erbsünde, gewaltvolle Geschlechterbeziehungen von Über- und Unterordnung. Im Christentum wurden oft Folien über den Text gelegt, die seine Wahrnehmung bestimmt haben - die Gegenüberstellung von Eva und Maria etwa. Eva aber (ein Hebräisches Wortspiel mit dem Wort "Leben") ist in der jüdischen Tradition überhaupt nicht negativ besetzt. Man kann diesen Text also offenbar anders lesen, als wir es christlich gewohnt sind. Dass die lange unhinterfragte Interpretation der Geschichte "die Frau ist schuld" nicht angemessen ist, sollte klar sein. Die Interpretation "die Frau ist klug"  (immerhin hat sie von der Frucht gegessen), findet sich in der Tradition seltsamerweise kaum, im Gegenteil.

"So ist das mit den Menschen" wäre eine Überschrift, die ermutigt, erst einmal ohne Schuldzuweisung zu schauen, was eigentlich Sache ist, und die herausfordert, die Erkenntnis von Gut und Böse nicht für zu einfach zu halten.